Corrado Carnevale

Aus phenixxenia.org
Zur Navigation springen Zur Suche springen


Zurück

Übersicht

Vorwärts

Corrado Carnevale, geboren 1930 in Licata/Agrigent in Sizilien.

Biografie

Nachdem er das Studium schon mit 23 Jahren abgeschlossen hat, beginnt Carnevale eine glanzvolle Karriere. Als Richter wechselt er vom Landgericht zum Berufungsgericht, um dann 22 Jahre bei der ersten Zivilkammer des Obersten Gerichtshofs tätig zu sein. 1985 wird er bei demselben Gericht jüngster Präsident der ersten Strafkammer, die für Mafla, Terrorismus, Mord und Bombenanschläge zuständig ist. 7065 Prozesse warten darauf, von ihm überprüft zu werden. Bei der Überfülle von Rechtsvorschriften für den Ablauf der Gerichtsverfahren lassen sich von dem, der nur willens ist, immer auch geringfügige Verstöße aufspüren.

Verdachtsmomente ihm gegenüber häufen sich, als er die Urteile des Maxi-Prozesses gegen Mafiosi und damit die Arbeit von Giovanni Falcone annulliert. Er erhält den Beinamen "Urteilskiller".

Carnevale gibt sich gerne allmächtig. Von seinen Kollegen am Gericht wird er als arrogant und unsympathisch beschrieben.

Über seine Feindschaft zu Falcone und Borsellino macht er selbst in der Öffentlichkeit keinen Hehl.

Carnevale ist Freimaurer und, wie der geständige Ex-Mafioso Rosario Spatola aussagt, "schon von daher >aufgeschlossen<", was heißen soll: aufgeschlossen, mit der Mafia zu kollaborieren.

1988 beschuldigt ihn der erste geständige Mafioso der N‘drangheta, korrupt zu sein. 1995 sind es schon 13, die bezeugen, dass er Prozesse >regelt< und dafür Summen über umgerechnet 800.000, 600.000 oder 300.000 DM erhalten habe.

Der "Richter von der ersten Strafkammer" stellte für Cosa Nostra eine wertvolle Garantie ihrer Straffreiheit dar, "nicht nur wegen seiner juristischen Auffassungen sondern weil er bekannt war als einer, den man manövrieren könne", wie es Ex-Mafioso Leonardo Messina aussagt. 352 Als das christdemokratische Regime und mit ihm Andreotti abzustürzen beginnen, ist auch der Sturm gegen Carnevale nicht mehr aufzuhalten. Er versucht sich mit der Theorie eines Komplotts gegen ihn zu verteidigen.

"Manöver einer gewissen politischen Richtung sind gegen mich im Gange. Einige Richter wollen mich dazu veranlassen, die Strafrechtskammer zu verlassen, um dann meinen Posten einnehmen zu können . . . Niemand soll es wagen, mich in Schwierigkeiten zu bringen, sonst gehe ich zum Gegenangriff über", tönt er noch machtvoll kurz vor seinem Fall. Nach seiner Versetzung wird er 1993 schließlich seines Amtes . enthoben. Im Juli 1995 wird ein Verfahren wegen "mafioser Aktivitäten" gegen ihn eingeleitet. Ein Jahr später verurteilt ihn das Gericht in Neapel wegen "Verfolgung privater Interessen in einer Amtshandlung" zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft.

Carnevale hat im Laufe der Jahre nicht nur Hunderte von Mafia-, N‘drangheta- und Camorra-Prozessen annulliert und damit Hunderte von lebenslangen Haftstrafen mehrfacher Mörder aufgehoben. Das Gleiche machte er auch mit den Urteilen von Prozessen der Bombenattentate auf den Zug Italicus mit zwölf Toten und 105 Verwundeten und auf den Schnellzug 904 mit 16 Toten und 198 Verwundeten. Licio Gelli befreite er von der Anklage der umstürzlerischen Tätigkeit, des Putschversuchs und der Mitgliedschaft in einer bewaffneten kriminellen Vereinigung.

Carnevale hat neben dem Maxi-Prozess noch einen anderen besonderen Erfolg Falcones zunichte gemacht. Sieben Jahre hatte Falcone daran gearbeitet, die Anklage gegen Alfredo Bono, Verbindungsglied des Drogenhandels zwischen der sizilianischen und der amerikanischen Mafia, unter Dach und Fach zu bekommen. Die absurde Annullierungsbegründung für 18 Jahre Gefängnisstrafe der ersten Strafkammer des Obersten Gerichtshofs lautete hier: Ein Verteidiger sei zu einem Anhörungstermin nicht rechtzeitig benachrichtigt worden.

Carnevales Karriere hatte mächtige Beschützer. Einer von diesen ist der ehemalige Staatspräsident Cossiga, der Carnevale zu seinen aktiven Zeiten "den besten Richter Italiens" nannte. Ein anderer ist Andreotti.

Carnevale und Andreotti leugnen, als es ernst wird, hartnäckig, je Kontakt miteinander gehabt zu haben. Doch die Ermittler stellen fest, dass sie die Unwahrheit sagen, entdecken Treffpunkte von Andreotti und Carnevale bei der unverfänglichen Fiuggi-Mineralwasser-Stiftung des vermögenden Unternehmers und Finanziers der Andreottianer, Giuseppe Ciarrapico.

Nachdem Andreotti dort 1986 Stiftungspräsident wird, holt er sich kurz darauf Carnevale als Mitglied in den Vorstand und . trifft sich nun — wie Vorstandsmitglieder bezeugen — regelmäßig mit ihm im Schutz dieser Stiftungsversammlungen. Als Andreotti im Juli 1991 zum Senator auf Lebenszeit ernannt wird, veranstaltet die Stiftung zu seinen Ehren ein Festessen.

Dem auch diesmal anwesenden Carnevale sichert Andreotti die Ernennung zum Präsidenten des Berufungsgerichts in Rom zu. Wie man sieht, haben neben Freimaurerlogen auch Stiftungen vielfältige Funktionen.

Dass Carnevale zum engen Kreis der Andreottianer zählt, war in einschlägigen Politikerkreisen in Rom bekannt. Für die Erledigung der täglichen, nicht ganz sauberen Dinge und Kontakte hatte der "schlaue Fuchs" Andreotti allerdings seine Vertrauensleute oder Mittelsmänner. Beziehungen, die sich als zwielichtig herausstellen können, pflegt der über Jahrzehnte immer hilfreiche Claudio Vitalone. In zahlreichen Prozessen stößt man auf Vitalone als Kontaktperson zu Rechtsterroristen oder zur Banda della Magliana. Letztere unterhält beste Kontakte zu Geheimdiensten und stellte immer wieder Killer für politische Mordfälle.

Vitalone ist ein enger Freund von Carnevale. Und nicht nur von Carnevale, auch von Salvo Lima und den Vettern Salvo & Vittorio Sbardella, ein anderer enger Gefolgsmann Andreottis, sagt schwer krank noch kurz vor seinem Tod 1993 vor den Ermittlern in Palermo aus, dass Claudio Vitalone der "eigentliche Knotenpunkt zwischen Andreotti, Lima und Carnevale" sei.

Abgehörte Telefonate Carnevales machen in unglaublicher Weise deutlich, wie offen er mit den Verteidigern in Mafia-Verfahren über die "Regelung" von Prozessen verhandelt. Erschreckend auch, mit welchen Hassausbrüchen er sich am Telefon über Falcone und Borsellino äußert.

Carnevale wird der Prozess gemacht. Nachdem er zu sechs Jahren Gefängnis wegen Zusammenarbeit mit der Mafia verurteilt wird, spricht ihn das Kassationsgericht von der Anklage wegen Mangels an Beweisen im Oktober 2002 frei.

(aus: Regine Igel, 2006: Terrorjahre)