Aktenzeichen F 120/17 EASO
- Beschluss des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 15.05.2017
- "Entscheidung des Jahres" auf der Sommerkonferenz der IT-Juristen
Der Fall
Ein Vater hatte gegen seine Ex-Frau geklagt, weil diese dem 11-jährigen Sohn bei der Nutzung des Smartphones seiner Meinung nach zu viel Freiheiten ließ. Nachdem der Vorsitzende Richter in der mündlichen Verhandlung Defizite an der Medienkompetenz der Mutter ausmachte, gab er dieser bemerkenswerte Auflagen auf.
Das Urteil
- Die Kindesmutter wird verpflichtet, mit ihrem Sohn E. eine schriftliche Medien-Nutzungsvereinbarung (Vorlage z.B. unter www.mediennutzungsvertrag.de ) zu schließen und diese dem Gericht binnen 1 Monat ab Zustellung dieses Beschlusses in Kopie zu übersenden.
- Die Kindesmutter wird verpflichtet, von allen Personen, welche aktuell im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes E. gespeichert sind, schriftliche Zustimmungserklärungen dahingehend einzuholen, ob diese Personen damit einverstanden sind, dass E. in dem Adressbuch seines Smartphones die Telefonnummer(n) und den Namen - wenn ja, in welcher Form (Pseudonym, Kürzel oder aber Vor- oder/und Nachname als Klardatum) - der jeweiligen Person speichert und dass die Daten von dort dann regelmäßig über die von E. gleichzeitig genutzte Applikation "WhatsApp" an den Betreiber WhatsApp Inc. in Kalifornien/USA übertragen / hochgeladen werden, wo diese Daten zu vielfältigen Zwecken des Betreibers laut dessen Nutzungsbedingungen frei weiter verwendet werden können.
- Die Einholung der Zustimmungserklärungen gemäß Ziffer 2. hat die Kindesmutter dem Gericht binnen 2 Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses nachzuweisen.
- Die Kindesmutter wird verpflichtet, regelmäßig - mindestens einmal monatlich - Gespräche mit ihrem Sohn E. über die Verwendung seines Smartphones und über die darauf gespeicherten Kontakte zu führen, sowie das Smartphone und dessen Adressbuch dabei jeweils auch selbst in Augenschein zu nehmen. Hinsichtlich dann jeweils neu im Adressbuch des Smartphones hinzu gekommener Kontaktpersonen hat die Kindesmutter wiederum unverzüglich gemäß der Auflage nach Ziffer 2. zu verfahren.
- Die Kindesmutter hat dem Gericht jeweils bis zum 15.10.2017, bis zum 15.02.2018 und bis zum 15.06.2018 schriftlich mitzuteilen, welcher neuere Stand sich durch die Erfüllung der Auflage gemäß Ziffer 4. ergeben hat.
- Kann die Kindesmutter zu den Stichtagen gemäß Ziffer 3. und Ziffer 5. nicht hinsichtlich sämtlicher im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes eingetragener Kontaktpersonen eine schriftliche Zustimmungserklärung gemäß Ziffer 2. nachweisen, so hat sie die Applikation WhatsApp einstweilen von dem Smartphone ihres Sohnes zu entfernen und diese solange von dem Gerät fernzuhalten, bis der Nachweis für alle dort im Adressbuch gespeicherten Personen gegeben ist.
- Der Kindesmutter wird aufgegeben, persönliche Weiterbildung zum Themenbereich der digitalen Mediennutzung zu betreiben, wie folgt:
- bis zum 31.5.2017: Lesen des folgenden Online-Beitrags: www.medien-sicher.de/2013/11/liebe-eltern-eine-offene-e-mail
- bis zum 30.6.2017: Anschauen des Videos unter: [1]
- von Juli 2017 bis inkl. Juni 2018: Lesen von mindestens drei Themen-Berichten monatlich auf der Internetplattform " Klicksafe.de - EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz " nach jeweils freier Auswahl der Kindesmutter (genauer: Aufsuchen der Internet-Adresse (URL) www.klicksafe.de/themen, dort zunächst Anwahl per Mausklick in der Spalte links zu einem Thema nach Wahl, sodann Auswahl eines konkreten Berichts in der Themenbox mittig [= unterhalb der jeweils weißen Überschrift auf grünem Grund "KLICKSAFE INFORMIERT"] ).
- Die Einhaltung dieser Verpflichtungen wird in den Fristen gemäß Ziffer 3. und 5. mit kontrolliert.
- Der Kindesmutter wird aufgegeben, ab sofort das Smartphone des Kindes vor dem Schlafengehen jeweils einzuziehen, sowie dem Kind einen anderweitigen, nicht online vernetzten Wecker bereit zu stellen. Die Kosten des Verfahrens hat die Kindesmutter zu tragen. Der Verfahrenswert wird auf 1.500 € festgesetzt.
Kommentar
In seiner Laudatio würdigte der Microsoft-Jurist Guido Brinkel die Leistung des Amtsrichters, jene für das IT-Recht richtungsweisenden Auflagen unerwartet im Kindswohlparagraphen § 1666 BGB gefunden zu haben. Auf diese Vorschrift stützt das Amtsgericht Bad Hersfeld die Auflage einer kontinuierlichen Aneignung von Kenntnissen zu 'smarter' Technik, um die Elternpflicht zur Begleitung und Aufsicht durchgehend ordentlich erfüllen zu können. Ebenfalls folge aus § 1666 BGB also nunmehr die Pflicht, sich im Bekanntenkreis zur persona non grata zu machen, da nunmehr die Zustimmung aller Kontakte zur Datenübertragung per WhatsApp einzuholen sei. Bemerkenswert sei auch die Verpflichtung zum Abschluss einer schriftlichen Eltern-Kind-Mediennutzungsvereinbarung.
Quelle
Markus Kompa am 06.07.2017 in Telepolis: "IT-Entscheidung des Jahres"