Kinderkurheim Nickersberg Dr. Bartsch: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine Dokumentation von Dr. Anton Ottmann, Breitenbachstr. 25, 69234 Dielheim
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Als ich vor einiger Zeit im Internet einen Bericht über Verschickungskinder las, erinnerte ich mich an meine eigenen Erlebnisse im Kinderkurheim Nickersberg im Schwarzwald in der Nähe der Kleinstadt Bühl. Nach einer Tuberkulose-Erkrankung hatte ich dort Mitte der 50-er Jahre im Alter von zehn oder elf Jahren vier Wochen zur „Erholung“ zugebracht.
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Ursprünglich wollte ich über die damaligen Zustände einen Bericht schreiben und suchte dazu über die örtli-che Redaktion der Badischen-Neuesten-Nachrichten (BNN) Zeitzeugen. Es meldeten sich 11 ehemalige „Ver-schickungskinder“, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten. Ergänzend suchte ich Informationen über das Heim und das Leiterehepaar Elisabeth und Dr. Paul Bartsch, was zu Beginn wenig ergiebig schien. Im Stadtarchiv Bühl fand sich lediglich eine Abmeldeliste des Ehepaars Bartsch aus dem Kinderkurheim im Schwarzwaldort Sasbachwalden bei Achern. Sie war gleichzeitig die Anmeldung in die Gemeinde Altschweier (heute Ortsteil von Bühl) zur Übernahme des Kinderkurheims „Nickersberg“.
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Nachdem ich herausfand, dass in Sasbachwalden ein Erholungsheim für hochrangige SS-Angehörige war und Himmler dort noch kurz vor Kriegsende vor Armee-Kommandeuren eine Rede gehalten hatte, kam ein erster Verdacht auf, dass es sich bei Paul Bartsch um eine Person mit Nazi-Vergangenheit handeln könnte. Denn, woher sollte er als Berliner den Ort kennen? In dem für Sasbachwalden zuständen Archiv des Ortenaukreises fanden sich dann zahlreiche Schriftstücke über das Ehepaar Bartsch, aus denen hervorging, dass Paul Bartsch gar kein Arzt war, wie alle mir bekannten ehemaligen „Verschickungskinder“ selbstverständlich angenom-men hatten. Er gab sich stattdessen als „praktischer Psychologe“ aus, was keine übliche Berufsbezeichnung darstellt. Außerdem waren einige Schreiben der Berliner Jugendbehörde an einen Otto Bartsch adressiert, genauso wie die Selbstauskunft bei der Staatsanwaltschaft Berlin, ob ein Strafverfahren gegen ihn vorliege. Da „Otto“ in der in Berlin angeforderten Geburtsurkunde nicht als Zweitname eingetragen war, entstand kurzzeitig der Verdacht, dass es sich bei Otto und Paul um zwei verschiedene Personen handeln könnte.  
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In den Akten fand ich Hochzeitsdatum und –ort, sodass eine Heiratsurkunde angefordert werden konnte1, auf der Bartsch als „Stabsintendant, Doktor der Philosophie“ eingetragen war. Unter Religion war „gottgläubig“ vermerkt, die im 3. Reich übliche Bezeichnung für einen aus einer Religionsgemeinschaft ausgetretenen Na-tionalsozialisten. Diese Informationen brachten zuerst einmal mehr Verwirrung als Aufklärung. Doch nun war mein Ehrgeiz geweckt. Mit über 30 Anfragen an Bundes-, Landes-, Stadt-, Kirchen- und Universitätsarchiven sammelte ich Informationen zu dessen Berufsausbildung und den Militär- und Studienzeiten. Heute steht zweifelsfrei fest, dass er sich nach dem Krieg eine falsche Identität aufgebaut hatte und dass es sich bei Otto Bartsch mit Sicherheit nicht um einen Doppelgänger handelte. Wie im vierten Teil der Dokumentation darge-stellt, konnte ich am Ende sein Leben von der Geburt im Jahr 1892 bis zum Tod im Jahr 1977 fast vollständig rekonstruieren. Dabei kam unter anderem heraus, dass er von Beruf weder Mediziner, noch Psychologe und auch nicht Heimleiter war, sondern Diplomhandelsschullehrer.
  
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|'''Dr. phil. Anton Ottmann''', geb. 1945 in Heidelberg, Erziehungswissenschaftler und pensionierter Lehrer für Mathematik und Physik, verfasst seit 50 Jahren Arbeitsmaterialien, Artikel und Bücher zur Pädagogik und Mathematikdidaktik. Seit 1996 mehrere Erzählbände und ein Roman im Bereich Belletristik, mehrfacher Preisträger in Mundartwettbewerben, arbeitet seit 16 Jahren als freier Journalist, u. a. für die Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg.
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Version vom 5. August 2021, 17:50 Uhr


01 Titelbild.png

Eine Dokumentation von Dr. phil. Anton Ottmann, Dielheim

Publikation auf PhenixXenia mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Vorgeschichte

Als ich vor einiger Zeit im Internet einen Bericht über Verschickungskinder las, erinnerte ich mich an meine eigenen Erlebnisse im Kinderkurheim Nickersberg im Schwarzwald in der Nähe der Kleinstadt Bühl. Nach einer Tuberkulose-Erkrankung hatte ich dort Mitte der 50-er Jahre im Alter von zehn oder elf Jahren vier Wochen zur „Erholung“ zugebracht.

Ursprünglich wollte ich über die damaligen Zustände einen Bericht schreiben und suchte dazu über die örtli-che Redaktion der Badischen-Neuesten-Nachrichten (BNN) Zeitzeugen. Es meldeten sich 11 ehemalige „Ver-schickungskinder“, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten. Ergänzend suchte ich Informationen über das Heim und das Leiterehepaar Elisabeth und Dr. Paul Bartsch, was zu Beginn wenig ergiebig schien. Im Stadtarchiv Bühl fand sich lediglich eine Abmeldeliste des Ehepaars Bartsch aus dem Kinderkurheim im Schwarzwaldort Sasbachwalden bei Achern. Sie war gleichzeitig die Anmeldung in die Gemeinde Altschweier (heute Ortsteil von Bühl) zur Übernahme des Kinderkurheims „Nickersberg“.

Nachdem ich herausfand, dass in Sasbachwalden ein Erholungsheim für hochrangige SS-Angehörige war und Himmler dort noch kurz vor Kriegsende vor Armee-Kommandeuren eine Rede gehalten hatte, kam ein erster Verdacht auf, dass es sich bei Paul Bartsch um eine Person mit Nazi-Vergangenheit handeln könnte. Denn, woher sollte er als Berliner den Ort kennen? In dem für Sasbachwalden zuständen Archiv des Ortenaukreises fanden sich dann zahlreiche Schriftstücke über das Ehepaar Bartsch, aus denen hervorging, dass Paul Bartsch gar kein Arzt war, wie alle mir bekannten ehemaligen „Verschickungskinder“ selbstverständlich angenom-men hatten. Er gab sich stattdessen als „praktischer Psychologe“ aus, was keine übliche Berufsbezeichnung darstellt. Außerdem waren einige Schreiben der Berliner Jugendbehörde an einen Otto Bartsch adressiert, genauso wie die Selbstauskunft bei der Staatsanwaltschaft Berlin, ob ein Strafverfahren gegen ihn vorliege. Da „Otto“ in der in Berlin angeforderten Geburtsurkunde nicht als Zweitname eingetragen war, entstand kurzzeitig der Verdacht, dass es sich bei Otto und Paul um zwei verschiedene Personen handeln könnte.

In den Akten fand ich Hochzeitsdatum und –ort, sodass eine Heiratsurkunde angefordert werden konnte1, auf der Bartsch als „Stabsintendant, Doktor der Philosophie“ eingetragen war. Unter Religion war „gottgläubig“ vermerkt, die im 3. Reich übliche Bezeichnung für einen aus einer Religionsgemeinschaft ausgetretenen Na-tionalsozialisten. Diese Informationen brachten zuerst einmal mehr Verwirrung als Aufklärung. Doch nun war mein Ehrgeiz geweckt. Mit über 30 Anfragen an Bundes-, Landes-, Stadt-, Kirchen- und Universitätsarchiven sammelte ich Informationen zu dessen Berufsausbildung und den Militär- und Studienzeiten. Heute steht zweifelsfrei fest, dass er sich nach dem Krieg eine falsche Identität aufgebaut hatte und dass es sich bei Otto Bartsch mit Sicherheit nicht um einen Doppelgänger handelte. Wie im vierten Teil der Dokumentation darge-stellt, konnte ich am Ende sein Leben von der Geburt im Jahr 1892 bis zum Tod im Jahr 1977 fast vollständig rekonstruieren. Dabei kam unter anderem heraus, dass er von Beruf weder Mediziner, noch Psychologe und auch nicht Heimleiter war, sondern Diplomhandelsschullehrer.

Paul Bartsch empfängt Kinder
Postkarte an die Eltern kurz nach der Ankunft
Tante mit Klampfe
Karteikarte von E. Dietz
Prospekt Nickersberg
NSDAP Kartei-Karte
Ernennung von Bartsch zum Reichsfachgruppenleiter
Schlussgutachten von Bartsch

Autor

Dr. phil. Anton Ottmann
Dr. phil. Anton Ottmann, geb. 1945 in Heidelberg, Erziehungswissenschaftler und pensionierter Lehrer für Mathematik und Physik, verfasst seit 50 Jahren Arbeitsmaterialien, Artikel und Bücher zur Pädagogik und Mathematikdidaktik. Seit 1996 mehrere Erzählbände und ein Roman im Bereich Belletristik, mehrfacher Preisträger in Mundartwettbewerben, arbeitet seit 16 Jahren als freier Journalist, u. a. für die Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg.