Wer hilft den Konzernen? (aus ISBN 978-3451309267)

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Lobbyisten, die Einfluss auf Politiker nehmen. Und Politiker, die sich beeinflussen lassen. Medien, die ihre Argumente übernehmen und transportieren, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK), die für Großindustrie und Großverbraucher sprechen.

Und viele andere.

Politiker mit Verständnis für die Sorgen und Nöte der großen Konzerne gibt es in allen Parteien und Parlamenten. Längst gilt das auch für das Europäische Parlament in Brüssel. Nachdem aber auch die Europäische Union 80 Prozent Erneuerbare bis 2050 beschlossen hat, kann man die Energiewende nicht mehr für unmöglich erklären. Deshalb ist das politisch-strategische Ziel der Konzerne und ihrer Lobbyisten, die Energiewende zu entschleunigen. Sie suchen Energiewende-Bremsen.

Eine solche fand sich im April 2013. Da lehnte das Europaparlament mit einer konservativ-liberalen Mehrheit die Reform des Emissionshandelssystems ab, unter Beifall des deutschen FDP-Wirtschaftsministers Philipp Rösler. Begründung war die angeblich drohende Deindustrialisierung Europas. Die Wirtschaftsregion Europa sei in Gefahr, würden die Unternehmen finanziell zu stark belastet. Es war eine überparteiliche Allianz, die da mit- und nebeneinander gearbeitet hatte. Neben Rösler machten sich für die Interessen der Kohlekonzerne auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU), NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und andere verdient. Eine „schmutzige Allianz der fossilen Gesinnungsgenossen“, so hieß es in einem Kommentar von tagesschau.de.

Diese Reform wäre ein wichtiges Instrument der europäischen Politik zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes gewesen.

Profiteure des Status quo sind klimaschädliche Großindustrien, insbesondere aber eben die Betreiber von Kohlekraftwerken, die damit weiter auf Kosten der Gesellschaft subventioniert werden. Wenn der Preis für CO2-Zertifikate abstürzt, sinkt auch der Strompreis an der Börse – woraufhin die EEG-Umlage absurderweise steigt und Gaskraftwerke keine Chance haben, weil sie zu teuer sind. Es gibt nur einen Gewinner: Kohle.

Der Rest verliert.

Auch wenn die Großkonzerne in alle Bundestagsparteien hinein vernetzt sind, so ist es doch nicht übertrieben, die spezielle Rolle der FDP anzuerkennen, die als eine Art verlängerter Arm der Konzerne in der Bundesregierung fungiert. Was ein bisschen ironisch ist, weil die FDP sich ja angeblich dem Mittelstand verschrieben hat. Doch es existiert eine Anti-Mittelstands- und Anti-Bürger-Linie, die von der Politik der letzten FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Rainer Brüderle zurückreicht bis in die Neunzigerjahre.


Ich erinnere mich an mein erstes Treffen mit Rainer Brüderle, der damals Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz war und Vorsitzender der hiesigen FDP. Es war 1997, und wir hatten mit einem Vertreter der FDP aus der Region über Windkraft gesprochen, weil der einen Acker hatte, der für uns interessant war. Der FDPler sagte: „Junge, dynamische Unternehmer wie ihr interessieren den Herrn Brüderle bestimmt auch, ich bringe euch da mal hin. Das wird super.“

Wir trafen uns dann bei einem Landesparteitag – und Brüderle redete wie ein Kohle- und Atomunternehmer: So ein Windrad sei ja mal gut, aber mehr davon brauche es nicht, das bringe ja auch nichts.

So so.

Das war in den Neunzigern das typische Argument des alten Systems: „Was wollt ihr mit zwei, drei Windrädern?“ Dann kam auch schon: „Was machen wir, wenn der Wind nicht weht?“

Schließlich sagte er: „Außerdem ist Windkraft nur additiv. Denn aus physikalischen Gründen passen eh nur fünf Prozent Windstrom in unser Netz.“

Das war für mich als Diplom-Physiker wie ein Elfmeter: „Lieber Herr Brüderle, als Physiker kann ich Ihnen gerne erklären, warum auch weit mehr als 5 % Strom aus Wind in unserem Netz möglich sind.“ Erst grinste er noch breit, dann wollte er das Thema wechseln, und als ich weiter diskutieren wollte, gab er unwirsch zu verstehen, dass die Sache für ihn erledigt war.

Dem Kollegen, der uns dort hingebracht hatte, war das sehr peinlich. Ich fand Brüderles Expertisen ausschließlich für Brüderle peinlich. Es sollte das erste und das einzige Mal bleiben, dass Brüderle Lust hatte, mit mir zu sprechen. Seit 1997 ist er nicht einmal bei uns gewesen, obwohl wir ihn mehrfach zu juwi eingeladen haben. Die ganze Landes-FDP war bei uns, er nicht.

Direkt nach der Übernahme des Umweltministeriums durch Peter Altmaier 2012 äußerte sich Brüderle öffentlich und sagte, der Umstieg auf Erneuerbare Energien sei nun doch schwieriger und teurer als gedacht. Es brauche mehr Kohlekraftwerke. Und im Frühsommer 2013 fordert er erneut ein Moratorium für Wind und Sonne. Tolle Idee. Die vielen mittelständischen Unternehmen werden das sicher alle überleben.


Warum ist die FDP auf Linie der großen Energiekonzerne? Aus strategischen Gründen, fürchte ich. Die FDP hat, was Bildung und Einkommen angeht, ähnliche Wählerschichten wie die Grünen. Für sie ist das als Unterscheidungsmerkmal wichtig. Weil die Grünen für Erneuerbare Energien stehen, muss die FDP genau das Gegenteil machen. Das ist der Grund, warum die FDP für die konventionellen Energieversorger ist, obwohl sie eigentlich die Partei des Mittelstandes sein will – nur in der Energiebranche nicht, da ist sie die Partei der Großkonzerne. Doch auch die Grünen sind in Konzernstrategien eingebunden, wenn sie etwa ihr Lied auf den Offshore-Strom singen und auf die Arbeitsplätze, die dort angeblich entstehen. Offshore findet ohne Bürgerbeteiligung statt. Da erwarte ich von den Grünen mehr Engagement für die Energiewende der Bürger.

Und was treiben die Industrie- und Handelskammern? Sie werden von den Großkonzernen beeinflusst und haben sich nach meinem Eindruck selbst oft nicht besonders intensiv mit der Materie auseinandergesetzt. Anders verhält es sich da mit der Initiative Soziale Marktwirtschaft. Die INSM ist eine Lobbyvereinigung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und der energieintensiven Industrie. Ihren Vorsitz übernahm 2012 der frühere „Superminister“ Wolfgang Clement – schon zu seiner Zeit als SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ein Gegner der Erneuerbaren. Die Energiewende sei eine staatsinterventionistische Veranstaltung mit flächendeckender Subventionierung, sagte er einmal. Als Wirtschaftsminister sorgte er sich darum, dass die Energiewende eine Wachstumsbremse und eine Milliarden-Fehlinvestition sei.

Bei der Hessen-Wahl 2008 riet er von der Wahl der SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti ab, weil sie die Energiewende im Wahlprogramm verankert hatte. Er passt also zur INSM, deren Botschaft lautet: „EEG stoppen – sonst scheitert die Energiewende“.

Im Grunde funktioniert die Argumentation meist nach einem wiederkehrenden Muster: Umweltverträglichkeit des Energiesystems? Schön und gut, aber nicht auf Kosten von Sozialverträglichkeit und Versorgungssicherheit.

Bester Lieferant für aberwitzige Zahlen und Argumentationen der Energiewende-Gegner ist Prof. Dr. Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Wann immer es gegen Erneuerbare geht und vor allem gegen Solarstrom, Frondel ist zur Stelle, um mit seinen Zahlen die Kosten (enorm) gegen die positive Wirkung (nicht existent) in absurde Vergleiche zu setzen. Sein verlässliches Fazit: Die „Kostenlawine“ durch den Zubau der Erneuerbaren ist eine „Gefahr für Wachstum und Wohlstand“. Von der „Zunahme der planwirtschaftlichen Organisation“ gar nicht zu sprechen.

Was treibt Frondel an? Die ARD-Sendung „Monitor“ hat ihn nach dem Auftraggeber einer seiner Studien gefragt, mit der Solarstrom als unnötiger Kostentreiber gebrandmarkt wurde. Erst sagte er, es gäbe keinen Auftraggeber. Als ihm die Reporter nachwiesen, dass es doch einen gab, nannte er ein „unabhängiges Energie-Forschungsinstitut.“ Als ihn „Monitor“ dann damit konfrontierte, dass dieses Institute for Energy Research „eine von Öl- und Kohlekonzernen finanzierte Lobbyorganisation“ sei, sagte Frondel: „Das war uns in diesem Maße nicht bekannt.“ Es sei „ein Versehen“ gewesen, dass der Auftraggeber verschwiegen wurde.


Kampf der Systeme

Kennzeichnende Merkmale Klassische Energieversorger Neue Energiebranche
Anzahl der Produktionsstandorte Wenige Großkraftwerke Viele dezentrale Kraftwerke
Eigentümerstruktur Wenige Konzerne, viele (anonyme) Aktionäre aus dem In- und Ausland Viele regionale Player (Bürger, Landwirte, Kommunen)
Motivation des Engagements Gewinnoptimierung Umweltschutz und regionale Wertschöpfung
Quersubventionierung Verkehr, Abfallwirtschaft, Telekommunikation Kaum bis keine
Staatliche Subventionen Seit Jahrzehnten sehr hoch (Forschung, Anwendung, Betrieb, Entsorgung) Gering (direkt: Forschung / indirekt: EEG)
Im Nachhaltigkeitsdreieck wird betont Wirtschaftlichkeit für Großkonzerne Versorgungssicherheit
  1. Umweltfreundlichkeit
  2. Wirtschaftlichkeit
  3. Versorgungssicherheit
Ressourcen Kohle /Atom / Gas / Offshore Wind / Sonne / Biomasse
Profiteure Einige wenige (z. B. internationale Fondsgesellschaften) Viele regional beteiligte Bürger
Geschädigte Im lokalen (Emissionen und Raubbau an der Natur beim Abbau von Rohstoffen) und globalen Bereich (Klimawandel, Emissionen, Raubbau an der Natur beim Abbau von Rohstoffen) Im lokalen Bereich (Veränderung der Kulturlandschaft)
Nähe zur Politik Hoher Lobby-Aufwand, historisch gewachsen, oft über Aufsichtsratsmandate verknüpft Mittel, aber zunehmende Lobby-Aktivitäten
Arbeitsplätze etwa 200.000 etwa 400.000
Nahestehende Branchen Großindustrie (Chemie, Metall, Schiffbau, Werften) Handwerk, Hersteller (zum Beispiel von Windkraftanlagen)
Preisgestaltung Scheinbar günstig, weil viele reale Kosten (Umweltschäden etc.) externalisiert und von der Allgemeinheit über Steuergelder und Versicherungsprämien getragen werden Scheinbar teuer, dafür aber inklusive aller Nebenkosten
Abhängigkeit von ... ... endlichen Rohstoffen, Rohstoffimporten, wenigen Unternehmen ... den Wetterbedingungen (Wind, Sonneneinstrahlung)
Aufwand für den Rohstoff- und Stromtransport Hoch / Trennung von Ressource und Umwandlungsort / Trennung von Produktion und Verbrauch In der Nähe der Ressourcen / in der Nähe der Verbraucher
Perspektiven Schlecht, da endliche Rohstoffe, steigende Kosten Gut, da unendliche Ressourcen, sinkende Kosten