Der Kraichgau – die „badische Toskana“

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Am 11. Juni 769 - Ersterwähnung vor 1250 Jahren
von Thomas Adam

Alles sollte geschehen zur höheren Ehre des heiligen Märtyrers Nazarius, dessen Reliquien im Benediktinerkloster Lorsch höchste Verehrung genossen: Insgesamt fünfeinhalb Hofstellen mit Bauernhäusern und Nebengebäuden, dazu weit über zwanzig Hektar Ackerland, obendrein elf Leibeigene schenkten der wohlhabende Burgolf und seine Gemahlin am 11. Juni 769 „im Namen Gottes“ und „für ewige Zeiten“ der nicht minder begüterten Abtei bei Bensheim. Ihr Besitz jedoch lag recht verstreut in verschiedenen Landesteilen, ein Hofgut bei Mosbach am Neckar, ein anderes südöstlich von Heidelberg, die weiteren „in pago Creichgouue“, in den Dörfern Helmsheim und Odenheim bei Bruchsal.

„In pago Creichgouue“ – mit diesem Eintrag im Codex des Klosters Lorsch vor 1250 Jahren wird erstmals eine Landschaft beim Namen genannt, die heute als „badische Toskana“, als „Land der tausend Hügel“, als „Klein-Italien“ bekannt ist. Die namensgebende Kraich, keine sechzig Kilometer lang und auf modernen Wegekarten als Kraichbach verzeichnet, entspringt westlich des Strombergs nahe Sternenfels, tritt bei Ubstadt in das Tiefland ein und mündet südlich von Ketsch in den Rhein. Eine mögliche Interpretation beruft sich auf den altväterischen Ausdruck „Kreuch“ für „Lehm“, tragen doch die Kraichgaubäche nach starken Regenfällen große Mengen gelbbraunen Schlamms mit sich. Die wahrscheinlichste Sinndeutung aber leitet den Begriff vom germanischen Wort für Krümmung und Biegung ab – „Kraich“ meint also ein mäandrierend sich dahinschlängelndes Fließgewässer.

1250 Jahre später besitzen die Pfunde, mit denen der Kraichgau touristisch wuchern kann, durchaus Gewicht. Das erste ist die Landschaft selbst mit eben jenen – oft zitierten – „tausend Hügeln“ vom Sinsheimer Steinsberg bis zum Heustätt bei Königsbach und vom Untergrombacher Michaelsberg bis zu den zerklüfteten Hessigheimer Felsengärten rechts des Neckars. Ökologisch wertvoll ist diese Region, vom Schwäbischen Heimatbund zur Kulturlandschaft des Jahres 2010 gekürt, vor allem im westlichen Bereich um die großen Schutzgebiete „Pfinzgau“ und „Kraichgau“. Hier prägen kleinstrukturierte Biotope wie Hohlwege, Streuobstwiesen, orchideenreiche Halbtrockenrasen und alte Rebhänge das Bild, während die riesigen Mischwälder des 1980 ausgewiesenen Naturparks Stromberg-Heuchelberg östlich von Bretten einen sehr eigenen Charakter im ansonsten eher baumarmen Kraichgau besitzen.

Das milde Klima verleiht dem Ganzen etwas geradezu Mediterranes. Kein Wunder, dass bereits im hohen Mittelalter vielerorts im Kraichgau Weinberge erwähnt werden. Hier und da liegen ausgedehnte Rebanlagen spektakulär an den Hängen zu Füßen mittelalterlicher Kraichgauer Burgen – und die wiederum spielen ihrerseits eine entscheidende Rolle bei der touristischen Vermarktung der Region. Zu Nobelhotels und Tagungsstätten sind einige von ihnen geworden, so in Michelfeld, Heinsheim und das Schloss Neuhaus bei Ehrstädt, oder sie dienen – etwa das Renaissancepalais in Bad Rappenau und das Deutschordensschloss Kirchhausen – als Veranstaltungszentren und Konzerthäuser.

Zu einem besonderen und noch jungen Werbeträger für den Kraichgau ist die TSG 1899 Hoffenheim geworden. Seit sie in der Fußball-Bundesliga erstklassig mitspielt, fällt nun dieser Landschaftsbegriff häufiger denn je in den Medien, samstags in der „Sportschau“ und darüber hinaus.

Vom Rebhang über die Ritterburg zum Runden, das ins Eckige muss – das und vieles mehr ist der Kraichgau: Eine durchaus noch zu entdeckende Landschaft, deren traditionsreichen Feste und Bräuche, Burgen und Schlösser, Fachwerkdörfer und Heimatmuseen ihren Besuchern eindrückliche Begegnungen mit einer ereignisreichen, vielschichtigen Vergangenheit erlauben.